Handicats als Anfängerkatzen kann ich eingeschränkt bejahen und befürworten.
Eine Grenze ziehe ich gedanklich dort, wo die künftigen Halter keine echte Erfahrung mit Haustieren und Medizin haben, gerade bei der Gabe von Medikamenten und bei dauerhaft pflegebedürftigen Tieren (= Pflegestufe 3 beim Menschen).
Das soll keine starre Grenze sein, aber wer insgesamt noch nie ein Haustier wirklich gehändelt hat, wird sich mit einem Schnittchen, also einem querschnittsgelähmten und daher auch blasen- und darminkontinenten Tier (egal ob Katze oder Hund) insgesamt schwerer tun als jemand, der entweder selbst aus einem medizinischen oder pflegerischen Beruf kommt (Krankenpflege, Altenpflege o. ä.) oder aber auf andere Weise schon mit Tieren oder mit Pflege Erfahrung gesammelt hat.
Ein körperbehindertes Tier wird mit größerer Wahrscheinlichkeit als ein gesundes Medikamente bzw. tierärztliche Behandlung benötigen und dadurch auch entsprechendes Handeln des Halters, von Tabletten über Augentropfen bis hin zum Windelwechsel und Pflege der beanspruchten Haut beim Schnittchen.
Bei unkomplizierten Handicats sehe ich keinerlei Schwierigkeiten, sie als Anfängerkatzen zu betrachten (vorausgesetzt natürlich, dass sie auch charakterlich Anfängerkatzen, also unkomplizierte Charaktere, sind). Aus meiner Sicht sind das Piraten (halb blinde Tiere), Täubchen (schwerhörige oder taube Tiere), Wackelchen (Ataxie, jedenfalls in der leichten Form), aber auch Dreirädchen.
Mehr Erfahrung mit Tierhaltung/-verhalten, aber eben auch mit Medizin sollte ein Halter haben (so jedenfalls meine persönliche Empfehlung), der ein chronisch krankes Tier zu sich nimmt, das regelmäßig Medikamente benötigt. Egal ob das Tabletten oder Injektionen sind: die Katze reagiert da doch anders als der Mensch (oder auch der Hund), und das ist einfach ein Prozess, den man erst lernen und verinnerlichen muss. Wenn man gar keine Erfahrung in dieser Richtung hat, fällt es einem entsprechend schwerer, mit diesem Thema in der Praxis klar zu kommen, und dauert halt länger.
Aber man kann all diese Dinge lernen!
Wir hatten bei unseren ersten beiden Katzen eine Chronikerin dabei, die Bezaubernde Jeannie war magenkrank, aber insofern pflegeleicht. Sie konnte halt nicht alles fressen und vertragen. Die dritte Katze, Kater Nicki, der kurz nach den beiden als Nr. drei dazu kam, war halb blind und absolut problemlos in diesem Punkt.
Mit der eingeschränkten Sehfähigkeit kam er prima zurecht - genauso wie unser heutiger Kater Moody.
Tabletten geben und Spritzen setzen (nur subkutan!) musste ich allerdings erst lernen, weil ich keine medizinische oder pflegerische Vorbildung habe und generell mit zwei linken Händen behaftet bin. Nicki hat mir das Spritzen beigebracht, wobei es für mich gut war, dass er schon lange Zeit bei uns lebte, die Spritzen für ihn sehr wichtig waren und dass er zum Menschen ein absoluter Lamakater war (außer beim TA).
Aktuell - als Katzen Nr. 4-7, nachdem die ersten drei verstorben sind - leben neben einer gesunden Katze drei Handicats bei uns (wobei ich den Begriff weit auslege und auch die Chroniker darunter fasse):
der sehbehinderte Moody, die Chronikerin Nine Katharine und das Dreirädchen Pfötchen.
Und auch der Traum von der Rassekatze muss nicht an den Handicats scheitern!
Entgegen vielen Ansichten ist auch die Stammbaumkatze (bitte KEINE Katze ohne Stammbaum anschaffen! Nicht vom Vermehrer kaufen!) kein Produkt mit mathematischer Präzision, komplett wartungsfrei und mit einer zehnjährigen Durchrostungsgarantie, sondern ein Naturprodukt, mit allen entsprechenden Abweichungen vom Standard!
Unsere jetzigen Katzen haben alle vier einen beeindruckenden Stammbaum mit viel viel Rot drinnen (= preisgekrönte Vorfahren mit iwelchen Pokalen für iwelche Schönheit), und trotzdem sind sie krank oder behindert.
Dagegen ist auch der beste und sorgsamste Züchter nicht gewappnet, das kann sowohl beim Kitten als auch im Verlauf des Katzenlebens immer passieren!
Moody bekam als Kitten Katzenschnupfen, und Pfötchen fiel vom Kratzbaum. Bei Nine liegt eine Autoimmunerkrankung vor, die vielleicht genetisch begünstigt worden sein könnte, was aber niemand sicher belegen kann.
Und es gibt - leider viel zu viele! - behinderte oder chronisch kranke Katzen aller Farben, Formen und Rassen (incl. Stammbaumkatzen) im Tierschutz, wo sie nicht zu denjenigen Tieren zählen, die als erste vermittelt werden.
Der einfachste Weg zu einem Paar Handicats führt letztlich über die einschlägigen Vermittlungsseiten im Internet (auch hier im Forum gibt es eine entsprechende Rubrik), wobei ich persönlich den Inlandstierschutz favorisiere (nichts gegen Auslandstierschutz, aber aus meiner Sicht gibt es auch in Deutschland viele Katzen, die sehr lieb und bedürftig sind und ein tolles Zuhause verdient haben). Sehr gut einschätzen können meist die Pflegestellen ihre Schützlinge, weil sie nicht so viele Tiere gleichzeitig betreuen müssen wie die Pfleger im Tierheim. Ein gut eingespieltes erwachsenes Team von einer Pflegestelle ist eigentlich ein Volltreffer für Katzenanfänger, und wenn es dann noch Handicats sind, habt ihr euer Beuteschema eigentlich komplett erfüllt!
Eins sollte aber auch klar sein:
Handicats und Chroniker gehen ins Geld!
Die Tierarztkosten liegen nach meiner Erfahrung spürbar höher als bei gesunden Katzen, und man hat - anders als bei den Gesunden - auch nicht wirklich die Möglichkeit, sie krankenzuversichern. Die Tierkrankenversicherungen schließen regelmäßig Leistungen für bereits bekannte Gesundheitsrisiken aus. Bei Moody beispielsweise wäre das mindestens sein Matschauge gewesen, dazu alles weitere, was ursächlich mit den bei ihm schon damals nachgewiesenen Katzenschnupfenerregern zusammen hängt. Bei Nine - da ihre Erkrankung schon im Kittenalter bekannt war - eigentlich fast alles, wofür wir für sie bisher Tierarztkosten bezahlt haben.
Da tut es gut, entweder einen Monatsverdienst zu haben, der einem entsprechende Spielräume lässt, oder regelmäßig pro Katze mindestens 30-50 Euro monatlich beiseite zu legen und konsequent anzusparen für alles, was nicht normaler TA-Besuch ist (Impfung und jährliche Grunduntersuchungen).
Natürlich kann es einem auch mit einem gesunden Freigänger passieren, dass dieser von jetzt auf gleich unters Auto gerät und mal eben 1-2000 Euro für die Operationen und Folgebehandlungen erforderlich sind. Aber bei den Handicats kann man sich die Karten legen, dass über kurz oder lang der TA einen schon an der Tür mit Namen begrüßt. ^^
Und: Handicats sind NICHT besonders bescheiden, dankbar und sonstewas, was leider auch in verschiedenen Beschreibungen der Vermittlungstiere rumgesäuselt wird!
Sie sind ganz normale Katzen: genauso lieb und schmusig wie ihre gesunden Vettern, genauso ätzend und kratzbürstig, genauso "unmanierlich" (Tapetenkratzen, Unsauberkeit, Mäkeligkeit usw.) - und genauso fröhlich und lebenslustig wie gesunde Katzen!!!!
(Unser Dreirädchen beispielsweise hoppelt mitleiderregend, wenn man das Bewegungsmuster nicht kennt, durch die Gegend, ABER sie ist die Chefin der Truppe und regiert mit eiserner Kralle, äußert Befehle in barschem Feldwebelkommandoton und erwartet sofortige Ausführung, sonst setzt es was!
)
Ich freue mich, dass ihr an Handicats denkt, und drücke euch die Daumen, dass ihr die besten Handicats ever, die für euch höchstpersönlich jemals ins Leben gekommen sind, finden werdet!
LG