"Mit Goldrute gegen chronische Niereninsuffizienz"

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21. April 2021
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Leserbrief zu "Mit Goldrute gegen chronische Niereninsuffizienz"
VetImpulse 29, Ausgabe 20, Seite 4
Im Artikel wird die allseits bekannt SUC - Therapie als "naturheilkundliche"
Alternative zur Behandlung der chronischen Niereninsuffizienz der Katze
vorgestellt, basierend auf einer neuen Studie von Dr. Uta Brandenburg vom
Tierärztlichen Institut Göttingen.
Als namensgebende Komponente wird die Goldrute (Solidago) erwähnt, die eine
naturheilkundliche Lösung darstelle und über u.a. antiinflammatorische und
diuretische Eigenschaften verfüge. Das mag auch im Prinzip richtig sein, wenn
man die Goldrute denn als naturheilkundliches Präparat verwenden würde,
allerdings ist die Droge im beworbenen Produkt Solidago comp. ad. us. vet. der
Firma Heel eben nicht mehr in therapeutischer Dosis enthalten, sondern in
homöopathischer Verdünnung. Selbst wenn man dem Patienten eine gesamte
Ampulle verabreicht, erhält er nicht mehr als 0,002 mg Solidago. Das liegt sehr,
sehr weit unter der therapeutisch wirksamen Grenze.
Wir können also getrost davon ausgehen, dass die naturheilkundliche Wirkung
bei der Verabreichung von Solidago ad. us. vet. nicht eintreten wird, es sei denn
man verabreichte mehr als 1000 Ampullen gleichzeitig. Die Frage, der also
nachgegangen werden soll, ist: gibt es andere Wirkungen dieser
Hochverdünnung, die sich über den Placeboeffekt hinaus nachweisen ließe.
Dazu müssen wir uns die zitierte "Studie" etwas genauer anschauen.
Sie ist unter dem Titel "The Multicomponent, Multitarget Therapy SUC in Cats
with Chronic Kidney Disease: A Multicenter, Prospective, Observational,
Nonrandomized Cohort Study" in der Zeitschrift Complementary Medicine
Research erschienen. Die Zeitschrift ist prinzipiell seriös, hat jedoch in ihrem
editorial board gerade mal einen Veterinär, der zudem noch aus der alternativen
Ecke stammt. Da ist man dann schon mal auf einem Auge blind.
Autoren der Studie sind die Tierärztin Dr. Uta Brandenburg sowie G. Braun von
Klifovet, einer führenden Contract Research Organisation, P. Klein von d.s.h.
statistical services GmbH, einem Statistikdienstleister für CRO´s und schließlich
Dr. Erich Reinhard von der Firma Heel, die das beworbene Produkt herstellt.
Von Dr. Reinhard stammt auch der Hauptanteil des Manuskriptes. Die beiden
anderen Coautoren haben von der Firma Heel sowohl Geld als auch den Auftrag
zur Studie bekommen.
Die Studie wurde von Heel designed und von den beiden beteiligten Firmen
interpretiert. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass dies eine von Heel in Auftrag gegebene und durchgeführte Studie ist. Die Tierärztin Dr. Uta
Brandenburg wird vorgeschoben, damit das nicht so auffällt.
In der Studie werden unverblindet zwei Kohorten von Patienten verglichen. Die
Katzen der ersten Kohorte erhielten zur Therapie Benazepril, die der zweiten
Kohorte die SUC - Therapie. Man kann sicher darüber streiten, ob Benazepril
noch die erste Wahl bei der Behandlung von Katzen mit CNI darstellt, aber
geschenkt.
Zumindest ist Benazepril zugelassen zur Verminderung der Proteinurie bei
chronischer Niereninsuffizienz bei Katzen. Als Indikator dessen dient
beispielsweise der Protein-Kreatinin-Quotient im Urin (UPC) sowie das spez.
Harngewicht. Im Grundsatz bewirkt das Medikament eine Entlastung des
glomerulären Filters über eine Blutdrucksenkung. Eine Leistungssteigerung der
Nieren sowie eine Besserung der Lebensqualität des Patienten ist nicht zu
erwarten. Ziel der Benazepril-Therapie (mit Telmisartan wäre dies nicht anders)
ist die Verschleppung des Fortschreitens der Erkrankung.
Die SUC - Therapie wurde über Jahre hinweg von der Firma Heel beworben mit
der Behauptung, der Kreatininwert der Patienten könne wirksam gesenkt
werden. Weitere Behauptungen gehen in die Richtung, die Lebensqualität der
Patienten könne verbessert werden.
In beiden Gruppen waren zusätzliche Behandlungen, wie die Verabreichung von
Nierendiäten und Flüssigkeitsgaben ausdrücklich zugelassen. Die Kohorte der
Benazepril-Patienten wurde von "schulmedizinisch", also akademisch
ausgebildeten Tierärzten betreut, die der SUC - Patienten von alternativ tätigen
Tierärzten, also KollegInnen, die anschließend an ihre akademische Ausbildung
ihr Tätigkeitsfeld aus eigenem Anlass modifiziert haben.
Zwar wurden bei beiden Patientenkohorten zu Beginn und im Verlauf der Studie
Blutdruck, UPC, spezifisches Uringewicht und Kreatinin gemessen, in die
Auswertung der Studie kamen allerdings aufgrund des "Studiendesigns"
ausschließlich Kreatinin und ein "Clinical Summary Score", der die
Lebensqualität aufgrund von Kriterien wie Appetit, Verhalten, Übelkeit, Grad
der Dehydratation und Fellqualität festhalten sollte. Dieser Score wurde jeweils
vom gleichen Tierarzt festgestellt, der auch die Behandlung durchführte -
deswegen unverblindet.
Dabei kam heraus, dass obwohl sich die Scores am Ende der Studie nach 168
Tagen nicht wirklich unterschieden, die Therapeuten der SUC- Kohorte der
Meinung waren, dass sich ihre Patienten zwischenzeitlich besser gefühlt hätten.
Der Kreatininwert änderte sich in beiden Kohorten nicht wirklich.

In einer nicht verblindeten Studie ohne Placebokontrolle ist jedoch immer mit
dem Trend zu rechnen, dass Behandler das zu erwartende Ergebnis auch
tatsächlich beobachten (Confirmation bias). Im Falle der SUC - Therapie
verspricht der Hersteller eine Verbesserung der Lebensqualität. Im Falle der
Benazepril-Therapie verspricht der Hersteller bloß eine Blutdrucksenkung. Es
ist also bereits durch das Studiendesign zu erwarten, dass die SUC - Kohorte in
Bezug auf die Lebensqualität besser bewertet werden wird.
Was auch hätte erwartet werden können, ist, dass sich der Kreatininspiegel in
der SUC - Gruppe verbessert hätte, denn auch das hatte der Hersteller Heel über
Jahre hinweg behauptet. Interessanterweise trat gerade dies nicht ein, obwohl
vom Studiendesign wohl erhofft. Der Kreatininspiegel bliebt mehr oder weniger
konstant. Ursache: Kreatinin wird gemessen und ist demzufolge weitgehend
unabhängig von Bias. Unabhängig übrigens auch vom Benazepril, das den
Kreatininspiegel eher überhaupt nicht beeinflussen dürfte. Warum also
ausgerechnet dieser unsinnige Parameter zum Vergleich herangezogen wurde,
dürfte für immer das Geheimnis der Studiendesigner von Heel bleiben.
Immerhin wurden ja auch Parameter erhoben, die eine sinnvollere Aussage
ermöglicht hätten, wie z.B. das UPC. Leider fielen diese Parameter dem
"Studiendesign" zum Opfer.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Die behandelnden Veterinäre scorten rund 70% ihrer Behandlungen als
erfolgreich. In beiden Gruppen. Unabhängig vom Bias. Das liegt vor allem
daran, dass die allermeisten der Patienten sich in der nur ein halbes Jahr
dauernden Studie nicht wirklich verschlechterten. Das aber war bei einer
langsam progressiv verlaufenden Erkrankung auch nicht zu erwarten. Hätte man
wirklich wissen wollen, welche Behandlung was taugt, dann hätte man leider
abwarten müssen, bis es den Patienten schlechter geht.
Alles in allem haben wir es bei der Veröffentlichung also mit einer von der
Firma Heel designten, geschriebenen und durchgeführten Studie zu tun, die von
Vorneherein den Zweck hatte, pseudowissenschaftlich einen Effekt einer
Therapie "zu beweisen", die nicht über den Placeboeffekt hinaus (hier
confirmation bias) wirken kann, weil die Inhaltsstoffe weit unter die
therapeutische Wirksamkeit verdünnt sind. Selbst das ist jedoch nicht gelungen,
denn die SUC - Therapie wird ausgerechnet verglichen mit der klassischen und
schon wieder veralteten Benazepril-Therapie, die noch nicht einmal ansatzweise
zum Ziel hat, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern, sondern "bloß", die
Progression der Krankheit zu verschleppen. Dieser Effekt wurde jedoch gar
nicht erst nicht abgewartet, sondern die Studie vorzeitig beendet.

Wenn man also so dreist ist, den Nichteffekt in punkto Lebensqualität bei der
Benazepril - Therapie als Placebokontrolle zu bewerten, dann allerdings macht
die Studie eins klar: SUC wirkt nicht über den Placeboeffekt hinaus.
Insofern kann ich der Autorin des Artikels nicht zustimmen: Die chronische
Niereninsuffizienz hat in der SUC-Therapie keine naturheilkundliche
Alternative.
Malte Kubinetz
prakt. Tierarzt
Westring 4-6
50389 Weseling
www.kubinetz.de
Quellen:
The Multicomponent, Multitarget Therapy SUC in Cats with Chronic Kidney Disease: A Multicenter, Prospective, Observational, Nonrandomized Cohort Study. | Complement Med Res;27(3): 163-173, 2020. | MEDLINE
https://www.karger.com/Article/FullText/506698
https://www.vetepedia.de/produkte/heel-tierarzneimittel/#c11523
https://www.karger.com/Journal/EditorialBoard/224242
d.s.h. statistical services GmbH
Veterinary Contract Research Organisation - CRO - KLIFOVET
 
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